Einweihung Bürgerhaus Möglingen am 06.12.1986

Festrede von Dr. Günter CORDES vom Staatsarchiv Stuttgart

Bürgerhaus heute - und früher?  

Als ob es das Selbstverständlichste von der Welt wäre, weihen wir heute das Bürgerhaus hier in Möglingen ein, die Halle für die ganze Gemeinde und Veranstaltungen mancherlei Art und dazuhin, wie mir versichert wurde, voll und ganz aus Gemeindemitteln bezahlt! Ist das wirklich alles so selbstverständlich? Wäre das 1950 oder 1930 oder gar noch weiter zurück auch schon 1910 möglich gewesen? Ich glaube, es ist durchaus erlaubt, einen kleinen Rückblick zu wagen, zumal der Tagesordnungspunkt Gemeindehalle schon seit bald 100 Jahren in den Gemeinderatsprotokollen durchaus kein Fremdwort ist!

 1892 z.B. zeigte es sich zum wiederholten Male, dass Möglingen über keinerlei geeignete Räume für die Jugend verfügte und sich die berechtigten Klagen häuften, dass "junge Leute während des Nachmittags und Abends bis in die Nacht hinein, namentlich an Sonn- und Feiertagen, durch truppenweisen unruhigen Aufenthalt, Singen, Musizieren und Tanzen auf den öffentlichen Straßen und Plätzen inner- und außerhalb Orts, so namentlich auf der ziemlich frequenten Ludwigsburger Straße, die wünschenswerte Ruhe und den freien Verkehr für Fuhrwerke und Fußgänger beeinträchtigen und die Passanten allerlei Belästigungen und Gefahren ausgesetzt sind“.

 Der Vorstand stellt deshalb den Antrag, ein Ortsstatut zu erlassen, dass „das Musizieren und Tanzen auf öffentlichen Plätzen verboten sei" und "die jungen Leute bei Vermeidung von Strafe, welche die in dieser Beziehung verantwortlichen Eltern und Lehrmeister träfen, nach dem Läuten der Abendglocke sich sofort nach Hause zu begeben haben“. Solcherlei Verbote lösten das Problem natürlich nicht. Immerhin gelang es dem Turnverein knapp 20 Jahre später, 1910, ein auch für jugendlichen Umtrieb geeignetes Haus zu errichten.

 Damals wurde durch Bauwerkmeister Wilhelm Batz aus Eglosheim für   4 500 Mark im Turnhallenweg eine zwar einfach gehaltene, doch in ihren Maßen von 8 auf 14 m recht großzügige Turnhalle erstellt. In Möglingen stand also nun ein – wenngleich eng zweckgebundenes - Bürgerhaus. Trotz aller Verdienste liefen aber dem Turnverein die Kosten wohl davon, so dass die Halle 1919 für 3 200 Mark in Gemeindeeigentum überging. Für die nicht übernommenen restlichen    1 300 Mark gegenüber dem ursprünglichen Preis sollte der Turnverein bis 1969 ein unentgeltliches Benutzungsrecht erhalten. Die Gemeinde aber konnte das Gebäude auch anderweitig nutzen. Das ging freilich nicht ganz so glatt ab. So gingen bald Klagen ein, dass Umstuhlungen nicht funktionierten, dass die Bedarfsmeldungen nicht mindestens vier Wochen vor Termin eingingen u.a. Im Jahr 1925 wurde eine Bitte des CVJM, die Halle an 1-2 Abenden pro Woche benutzen zu dürfen rundweg abgelehnt, weil der Turnverein, der ja noch ein Mitspracherecht besaß, offen eingestand, turnerische Übungen beim CVJM seien ein Konkurrenzunternehmen, und das sehe man ja nun in der ursprünglich eigenen Halle nicht gerade gern.  

Trotz des Erreichten war man also von einer echten Gemeinschaftsbleibe noch weit entfernt. Es nimmt da nicht wunder, dass im Frühjahr 1933 dann der Singverein die anderen örtlichen Vereine zu einer Sitzung ins Rathaus einlud - weil eben ein anderer geeigneter Saal fehlte - und ein neues Gemeinschaftsprojekt empfahl!

Doch erbrachte der Vorstoß des Singvereins kein Ergebnis. Im Gegenteil, mit Kriegsbeginn verwandelte sich die inzwischen ja schon ältere Turnhalle nach notdürftigen Einbauten durch die Gemeindeverwaltung in ein kleines Kriegsgefangenenlager. Selbst der Turnverein war nun vertrieben und musste mit einem Schuppen vorlieb nehmen. Dass hier einmal pro Woche bei Kerzenlicht geübt werden konnte, mag heute romantisch erscheinen. Es entsprach aber nicht einmal dem damals - 1942 - kriegsüblichen.

 Jedenfalls musste der Bürgermeister auf eine Klage der staatlichen Sportaufsicht hin gegenüber dem Herrn Landrat in Ludwigsburg ausführlich begründen, warum die Gefangenen nicht verlegt und die Halle nicht freigemacht werden könne. Und es blieb schlimm, zogen später notgedrungen hier Vertriebene und Flüchtlinge ein.

 Als dann im Frühjahr 1947 endlich das Gebäude für Vereinszwecke wieder frei wurde, da fehlten die Ofenrohre für die Heizung, durchs Dach regnete es herein, und gewisse Türen zu gewissen Orten waren nicht mehr zu schließen. Letzteres war freilich übertrieben. Denn bereits im Februar des gleichen Jahres 1947 hatte in dieser Halle eine nicht angemeldete Faschingsveranstaltung stattgefunden, die der die Gemeindeverwaltung gleichwohl stolze 21 Reichsmark und 60 Pfennig an Vergnügungssteuer einbrachten! Möglingen besaß also doch eine Gemeindehalle, aus der sogar Steuermittel flossen! Freilich über den Stand von 1910/1919 war man immer noch nicht hinausgekommen.

 Unter dem Motto "Großes Werk gedeiht nur durch Einigkeit" riefen daher 1948 Bürgermeister Hönig und wiederum die Vorstände des Turn-, des Sing- und des Hausfrauenvereins, sodann des Bauernverbandes und des Jungbauernverbandes zu einem Um- und Ausbau der bestehenden Halle auf, die für größere Veranstaltungen aller Art geeignet sein sollte, also für Familien- und Parteiversammlungen ebenso wie für kulturelle Aktivitäten, z. B. damals ganz modern - Kinovorführungen! 1949 wurde in der Tat ans Werk gegangen, und der Anbau an die alte Halle sollte 25 m lang, 14 breit und 5 bis 6 m hoch werden. Geld war allerdings sehr knapp: Bürgermeister und Vereine baten daher um Spenden in jeder Höhe und priesen dazu die Ausgabe von Bausteinen an, die über 50 DM lauteten und ab 1952 wieder ausgelost werden sollten. Da ja auch die Schuljugend im neuen Hause turnen sollte, wurde außerdem noch vor dem ersten Spatenstich das Kultministerium um eine Beihilfe aus Totomitteln angegangen. Die Jugend, so schrieb der Bürgermeister nach Stuttgart, müsse, auch wenn es regnet, die Möglichkeit zu körperlicher und kultureller Betätigung haben; eine Gemeinde mit 2000 Einwohnern ohne Wald und ohne Industrie habe aber keine Einnahmen und könne daher von den Gesamtkosten in Höhe von 45 000 DM einschließlich aller Spenden höchstens 25 000 DM aufbringen.  

Doch kam es wieder einmal ganz anders als geplant. Auf den 15. Oktober 1949 konnte der Bürgermeister die freiwilligen Helfer zum Richtschmaus ins Gasthaus Rose einladen. Dieser Richtschmaus galt der wieder ausgebauten alten Halle und zugleich der ganz neu und für sich erstellten Gemeindehalle, die am Sonntag, dem 12. Februar 1950 festlich eingeweiht wurde. Für 1 DM Eintritt war man dabei. Musikverein und Singverein, Turnverein und Landjugend wetteiferten mit großem Programm, das mit Gluck und Beethoven einsetzte! Wie sich doch die Bilder gleichen!  

Möglingen schien wirklich am Ziele zu sein - und der Bürgermeister sprach das stolze Wort: "unsere Kinder und Kindeskinder werden uns für dieses Werk noch in Jahrzehnten dankbar sein!“ Das ist freilich so nicht eingetreten: Nach wiederum fast 40 Jahren und beinahe 80 Jahre nach dem Bau der ersten Halle hat sich die Welt erneut verändert. Wenn Möglingen inzwischen über 10 000 Einwohner zählt, ist auch das Non plus Ultra des Jahres 1950 nur ein kleines Glied in der Kette der Gemeinschaftsbauten und es wäre gleich eine ganze Reihe von Bauten zu nennen, die in der Zwischenzeit errichtet ähnlichen Zwecken dienen. Es geht also gar nicht mehr nur um ein Gebäude. Aber wenn wir die Feier 1950 mit der kommenden Festwoche vergleichen, spüren wir doch eine durchgehende, bleibende Linie: Der gleiche Gemeingeist, ja die gleichen Vereinigungen von damals feiern das Gemeinsame - eben Möglingen.

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