Wasser für Ludwigsburg

Von Lore Sporban-Xrempel  (in: Schwäbische Heimat, Ausgabe 4/1958)

 

Unter den sechs Papiermühlen, die vor 1700 im Herzogtum Württemberg in Betrieb standen, gehörte die zu Berg bei Stuttgart dem herzoglichen Haus als Bestandspapiermühle zu eigen und wurde von der Regierung aus jeweils für eine Reihe von Jahren gegen Entrichtung eines be­stimmten Zinses an interessierte Papiermacher verpachtet. Die Geschichte dieser Papiermühle ist insofern bemerkenswert, als ihr Anfang mit dem Stuttgarter Buchhandel und ihr Ende mit der Erbauung der Stadt Ludwigsburg verknüpft ist.

 

Der aus Petersweil bei Frankfurt/Main stammende Gott­fried Zubrod war der erste ständige Buchhändler in Stuttgart, der eine reine Verlegertätigkeit ausübte. Im Jahr 1684 schloß er einen Gesellschaftsvertrag ab mit dem Stuttgarter Buchdrucker Treu über Druck und Vertrieb einer Kinderlehre. Um die Herstellungskosten zu decken, hatte Zubrod die Lieferung des Papiers zu übernehmen.

 

In jenen Jahren dürfte Zubrod den Entschluß gefaßt haben, dies Papier in einer eigenen Papiermühle zu er­zeugen. Er erstand in Berg am Neckar mit „Hochfürstl. miltester Handbietung" zwischen Kupferhammer und Weißgerberwalke ein Gelände, worauf er die Papiermühle erbaute. Ungefähr 1686 nahm er den Betrieb darin auf, als seinen ersten Papiermeister kennen wir den Papierer Christoph Düchel von Urach.

 

Zubrod starb schon im Jahr 1690. Seine Witwe verkaufte die Papiermühle um 3200 Gulden an den Herzog von Württemberg. Dabei wurden die Schulden Zubrods, die er anläßlich der Erbauung des Papierwerks bei der Fürstl. Zeugschreiberei, der Bauverwaltung, beim Amt zu Berg, bei der Holzverwaltung und an anderen Stellen gemacht hatte, sowie der seit 3 Jahren rückständige Mühlzins gegen den Kaufpreis verrechnet.

 

Die Württembergische Regierung betrieb die Papier­mühle zu Berg fortan als Bestandsmühle. Als erster her­zoglicher Beständer zog Jobst Röder, vorher Papierer zu Ernsbach und Roigheim, in Berg auf. Von nun an kaufte die herzogliche Kanzlei ihren Bedarf an Schreibpapier auch beim Berger Papierer ein und man findet seine Lie­ferungen in den Rechnungen der Kanzlei laufend verzeichnet.

 

Nach zehnjähriger Bestandszeit kam Röder im Novem­ber 1702 durch einen unglücklichen Sturz auf der Treppe ums Leben. Eine Zeitlang führte seine Witwe das Werk weiter. In Matthäus Schmid, dem früheren Papierer zu Ulm, gewann die herzogliche Regierung dann wieder einen regulären Beständer.

 

Matthäus Schmid hatte wie fast alle seine Berufsgenossen unter Mangel an Rohstoff schwer zu leiden. Papier wurde zu jener Zeit noch ausschließlich aus Lampen gemacht. Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg erließ daher anno 1711 einen Befehl, der sich speziell mit den Sorgen des Berger Papierers befaßte und den Amtleuten gebot, in ihren Bezirken keine fremden Lumpensammler einzulassen, sondern dafür zu sorgen, daß alle Hadern dem Papierer zu Berg zugeführt würden.

Auf Matthäus Schmid folgte sein Sohn Tobias als Be­ständer in Berg, als letzter Papierer dort. Das Ende des Papierwerks hing mit der Erbauung der Stadt Ludwigs­burg zusammen.

Eberhard Ludwig, der damalige Herzog von Württem­berg, besaß zwar Einsicht in die militärische und außenpolitische Lage seines Landes, konnte aber im übrigen mit seinen „Landständen", deren Zustimmung verfassungsmäßig mancherlei fürstliche Entschließungen erst rechtsgültig machte, einfach nicht einig werden. Zu diesen Unstimmigkeiten des Fürsten mit den Landständen trug viel sein Liebesverhältnis mit dem Fräulein von Grävenitz bei. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte der Herzog begonnen, den „Erlachhof" bei Asperg in ein Jagdschloß umzuwandeln. Unter dem Einfluß der Grävenitz wurde dies Schloß immer weiter ausgebaut, eine Stadt darum herum angesiedelt und Ludwigsburg genannt. Da sich die Landschaft, die ihren Sitz in Stuttgart hatte, den Forderungen des Herzogs gegenüber auch weiterhin ablehnend verhielt, verlegte Eberhard Ludwig kurzerhand die Residenz nach Ludwigsburg und nahm auch die Behörden mit hinüber. Dadurch wuchs die Bevölkerungszahl der Stadt; schon vorher war durch verschiedene Erleichterungen die Ansiedlung begünstigt worden.

 

Ein wichtiger Punkt war die Wasserversorgung der neuen Stadt. In der Nähe von Ludwigsburg, in Möglingen entsprang auf einem Grundstück des Müllers Caspar Sigle eine starke Quelle, die dessen Mahlmühle trieb. Sigle hatte die Mühle erst vor wenigen Jahren gekauft und die Quelle auf seine eigenen Kosten erbohren lassen. Das Wasser dieser Quelle schien der herzoglichen Regierung geeignet zur Speisung des Ludwigsburger Marktbrunnens. Der Müller wurde bestimmt, die Quelle gegen eine namhafte Summe der Herrschaft abzutreten, auch wurde ihm versprochen, daß man ihm anderswo eine gute Mahlmühle lebenslang in Bestand geben würde. Man hatte auch schon einpassendes Objekt für Sigle: Die Papiermühle von Berg, die in eine Mahlmühle umgewandelt werden sollte.

Was die Regierung dazu bewogen hat, in einer Zeit großen Papiermangels die Berger Papiermühle aufzugeben, wird nicht ganz klar. Es wurde vorgegeben, das Papierwerk in Berg rentiere sich nicht, aber es ist denkbar, daß diese Behauptung nur den Vorwand für eine gewaltsame Handlung abgeben sollte.

Die Verhandlungen über den Umbau zogen sich eine Zeitlang hin, im April des Jahres 1729 aber wurde dem Amtmann von Berg befohlen, dem Papiermacher die „gnädige Resolution" des Herzogs, die Umwandlung der Papiermühle in eine Mahlmühle betreffend, mitzuteilen und dafür zu sorgen, daß Tobias Schmid die Mühle räume und sich anderswo nach einer Gelegenheit umsehe.

Der Amtmann, Philipp Konrad Hettler, hatte Mitgefühl mit dem Papiermacher und den Seinen und ließ Handwerkszeug und Gerät zum Papier machen nicht gleich aus dem Gebäude herausnehmen. Er sorgte auch dafür, daß Tobias Schmid seinen Rohstoffvorrat aufarbeiten konnte. Aber dann war nichts mehr zu helfen, der Papierer mußte mit Frau und Kindern die Papiermühle verlassen.

Man hatte Tobias Schmid von Seiten der Regierung versprochen, ihm eine andere Papiermühle zuzuweisen, und es fanden auch Verhandlungen deswegen mit Urach und Enzweihingen statt. Aber die Sache schleppte sich hin, man vergaß sie oder wollte sie auch vergessen und überließ Tobias Schmid seinem Schicksal. Der ehemalige herzogl. württembergische Bestandspapierer von Berg fand schließlich Arbeit und Unterkommen als Geselle in der Markgräflich Badisch - Durlachischen Bestandspapiermühle zu Niefern, wo der unglückliche Mann im Dezember 1734 an einer Kopfkrankheit starb.

Die württembergische Regierung hatte dem Papierer von Berg nicht Wort gehalten, aber auch dem Müller Sigle hielt sie es nicht, Die herzoglichen Finanzen waren damals in einem sehr zerrütteten Zustand, die Regierung brachte nicht die Summe auf, welche sie dem Müller seinerzeit für die Abtretung der Möglinger Quelle versprochen hatte. Caspar Sigle mußte lange auf sein Geld warten. Er mußte aber auch lange warten, bis das Papierwerk zu Berg umgebaut war. Um mit seiner Familie auch nur einigermaßen so lange leben zu können, bis er in Berg einziehen konnte, mußte er viele Güter versetzen und verkaufen und auch für den Umbau selbst beträchtliche Kosten tragen. Obwohl ihm der Bestand zu Berg von der Regierung lebenslang zugesagt war, wurde bereits nach wenigen Jahren der Bestand der Mahlmühle abermals ausgeschrieben und Sigle mußte weichen. Wohin er unmittelbar nach dem Abzug von Berg gegangen, weiß man nicht. Aber er verschmerzte den Verlust, den er durch den Verkauf seiner Quelle zu Möglingen an die Regierung erlitten, jahrelang nicht. Noch anno 1755 als nunmehriger Müller in Kornwestheim machte er einen Schadenersatzanspruch an die Regierung. Er wurde jedoch zurückgewiesen mit der Begründung, man habe im Jahr 1732 mit ihm abgerechnet, er habe sich mit dieser Abrechnung zufrieden gegeben und das durch seine Unterschrift bezeugt.

Heute bezieht die Stadt Ludwigsburg ihr Wasser größtenteils aus der Landeswasserversorgung, teilweise auch aus dem Grundwasser am Neckar. Und kaum einer von denen, die sich an dem reichlich fließenden Wasser in Haus und Garten erfreuen oder die Brunnen in der Stadt rauschen hören, weiß davon, in welch bittere Not einst zwei Familien gekommen sind, weil der Gründer der Stadt Wasser für Ludwigsburg brauchte.